Das Rausch Plädoyer

Der Rausch ist wichtig. Er kann die Gesellschaft heilen. Deswegen muss er moderiert werden. Und nicht verboten.

Birth, School, Work, Death. Das war mal der Titel einer Langspielplatte, als es nur Langspielplatten gab. Ist also schon ne Zeitlang her. Die Gruppe hieß Godfathers, das Stück stammt aus 1988 und klingt heute nicht mehr so banal, wie es damals klang. Aber es geht nicht um die Musik, es geht um den Text, denn der fasst gut zusammen, was einem im Leben erwartet. Nichts!

Ja, es geht uns gut! Ja, die Welt zerbricht gerade, doch wir werden überleben und unser Auskommen finden! Ja, wir müssen uns eben nach der Decke strecken, nach den Regeln des Systems leben, das offenbar nicht mehr strittig oder zu bekämpfen ist. Wenn es doch wer tut – etwa die griechischen Marxisten von Syriza - wird er von der Öffentlichkeit zum Feind gestempelt („unser Geld“) und verhöhnt.

Geburt, Schule, Arbeit, Tot. Das ist, was wir vom Leben zu erwarten haben. Und selbst das höchste Gut des Menschen, das einzig Unsterbliche seines Seins, wird heute dem System des Ökonomismus geopfert: die Liebe, die uns fliegen lässt. Doch selbst wenn wir fliegen, versuchen wir am Boden zu bleiben und suchen nach einem Zweck, der in der Liebe nichts zu suchen hat – sie ist der Bonus selbst. Liebe ist Rausch. Und Rausch kann Liebe sein. Rausch ist in den meisten Fällen die manifestierte Liebe zum Leben. Und Rausch ist der Moment der Flucht aus dem Geburt-Schule-Arbeit-Tot-Leben; Rausch ist der Sehnsuchtsmacher nach einem Leben hinter dem gelebten Leben, dem bedingungslosen Fallenlassen, das man sonst nur in der Liebe erlebt. Tatsache aber:

Idioten bleiben aber auch berauscht nur Idioten. Das sollte uns nüchtern genug machen, den Rausch differenzierter zu sehen.

Denn Rausch kann töten. Der alkoholisierte Autofahrer tötet, die Killer des Islamischen Staates töten sogar dauerbekifft. Rausch reisst Hemmungen nieder. Und deswegen muss Rausch moderiert werden. Das Moderieren soll die Gesellschaft besorgen. Sie muss dem berauschten Lenker den Schlüssel aus der Hand reißen. Der Staat kann nur strafen und sanktionieren. Aber nichts richten.

Einige meinen, es wäre in diesen Zeiten angebracht, den Rausch zu ächten und zu verbieten. Und diese Einigen werden mehr. Bedrohlich mehr. Doch es gibt ja jetzt schon beispielhafte Gesellschaften, die keinen Rausch dulden. Zumeist in Ländern des islamischen Kulturkreis oder in spaßbefreiten Ökonomiediktaturen wie Singapur. Taugen die irgendwie zum Vorbild? Will man dort leben? Nein! Wenn man also anfängt den Rausch zu verbieten, ist es höchste Zeit zu fliehen. Denn mit dem Rauschverbot kommt das Lebensverbot.

Rausch kann nichts lösen. Doch er kann inspirieren, das Denken befreien, während er das Denken einschränkt. Der gerne gut Berauschte kennt das Gefühl, wenn alles ganz klar wird und das Denken linear zum Selbst führt, während man die Nebel aufsteigen sieht, die dieses klare Selbst in wenigen Momenten sanft in eine glücklich ausgelöffelte Erbsensuppe führen. Solcherart Rausch kann mit vielen Substanzen hergestellt werden (nicht mit Marschierpulver freilich), doch gibt es nur eine Droge, die den angenehmen, den zivilisierten, den vorteilhaften Rausch richtig gut inszeniert. Diese Droge ist legal, sie heißt Alkohol und findet ihren schönsten Ausdruck im Wein, der mit ihr vom Traubensaft zum Kulturprodukt wurde.

Ein prächtiger Weinrausch macht selten Probleme. Weder einem selbst, noch den Umgebenden.

Wein ist das einzige Produkt, das gute Räusche garantiert. Warum also den Blick in die Ferne schweifen lassen, wenn das Gute so nahe liegt? Einfache Antwort: Weil die Lust nach Rausch vom Berauschten Steigerungsstufen verlangt. Also braucht der sich Berauschende außerhalb seiner Räusche feste Lebensanker. Nur dann kann ihn der Rausch nicht aus den Schienen werfen. Guten Rausch kann es ohne Intelligenz nicht geben. Und auch nicht ohne einem Ja zum Leben. Wer säuft, um zu vergessen, sollte das Saufen besser lassen. Und das Vergessen. Man säuft um zu erkennen. Und zu erinnern. Ich bin mein liebstes Rauschkind.

Artikel: Manfred Klimek, Fotos: Kai Müller

Dieser Artikel ist in Schluck - Identität - Ausgabe 1 erschienen.
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Über Manfred Klimek

Dr. Jekyll & Mr Hyde. Genie und Wahnsinn in Personalunion.
Ehemaliger Chefredakteur von Schluck.
Der Wiener Manfred Klimek ist Fotograf sowie Autor. Seine Artikel und Kolumnen erschienen bei Die Welt am Sonntag, DIE ZEIT, profil, Brand Eins, VICE und ganz vielen weiteren Medien.

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