Das Leben der Anderen. Wie Heike Heinrich die Menschen zusammen bringt

Österreich und vor allem das Burgenland ist rechtsnationaler Politik nicht abgeneigt. Heike Heinrich aber will die Leute mit ihren Weinen zusammenbringen. Und ein anderes Burgenland repräsentieren.

Heike Heinrich steht am Meidlinger Markt im gleichnamigen Wiener Gemeindebezirk, der gerade ein kleines bisschen gentrifiziert wird, letztlich aber doch ein Arbeiterbezirk bleibt, ein raues Pflaster für Menschen also, die hier offen für eine humane und liberale Flüchtlingspolitik eintreten.

Nach Meidling muss man sich mit einem solchen Anliegen erst mal hintrauen. Doch Heike Heinrich hat ein As im Ärmel: sie hat Wein mitgebracht; Wein des Weinguts Heinrich, das sie mit ihrem Mann Gernot seit vielen Jahren von Erfolg zu Erfolg führt. Leise, sodass es keiner merkt.

Die lauten Töne sind jene der Heinrichs nicht, denn sie kommen aus Gols, das ist die protestantische Enklave des katholisch dominierten burgenländischen Weinbaus. Die regionale Rebenkultur haben die Heinrichs – wie alle Winzer des Burgenlandes – aber einem anderen migrierenden Volk zu verdanken, das als Besatzer kam.

Cassius Dio hatte keinen guten Eindruck von seinen neuen Untertanen. Ein Volk von Räubern und Dieben, meldete der römische Konsul um das Jahr 225 n.Chr. aus der Unruheprovinz Pannonien. Und ein bedauernswertes Volk dazu, das kein Olivenöl kenne und kleinste Mengen widerwärtigen Weins keltere.

Die politisch-militärischen Probleme seiner Besatzung löste der nebenberufliche Geschichtsschreiber nicht. Mit der Völkerwanderung wurde Pannonien zum Einfalltor der Markomannen und Vandalen ins römische Reich. Doch wenigstens die Sache mit dem Wein brachte Cassius erfolgreich auf den Weg - das milde Frühjahr und die heißen Sommer in der weiten Tiefebene ließen die aus Rom bestellten Setzlinge und Samen prächtig gedeihen.

Heute würde der Konsul seine Provinz nicht wiedererkennen. Rebstock reiht sich an Rebstock, vom österreichischen Burgenland bis weit über die Grenze nach Ungarn hinein. Und ob weiß oder rot: Die Burgenländer Winzer haben seit dem Glykolskandal 1985 entscheidend zum internationalen Erfolg österreichischer Weine beigetragen, der erst möglich wurde, nachdem der alte österreichische Weinbau komplett am Boden lag. So ruiniert, wie in keinem anderen Land Europas.

Doch was der Traube gut tut, scheint manchem Bewohner der Tiefebene so gar nicht zu bekommen. Wäre die pannonische Sommerhitze ein Produkt der Pharmaindustrie, müsste die vermutlich auf dem Beipackzettel vor dem "Nebeneffekt totalen Realitätsverlustes" warnen. Für viele Leute freilich ist das, was hier im Burgenland gerade geschieht, eine wünschenswerte Realität und vom „Realitätsverlust der Willkommenskultur“, wie sie sagen, weit entfernt.

Denn das Burgenland hat seit den letzten Landtagswahlen einen Rechtsschwenk vollzogen, der Restösterreich oft Staunen macht. Unter Vorsitz der Sozialdemokraten etablierte sich eine sozialdemokratisch-rechtsnationale Koalition, die in Europa ihresgleichen sucht und die vom Wahlvolk aufgrund ihrer restriktiven Ansichten zur Flüchtlingsfrage weiterhin stabile Mehrheiten erwarten darf. Wenn die rechtsnationale FPÖ nicht – wie in den Jahren davor sehr oft – an internen Streitereien zugrunde geht.

Im burgenländischen Pinkafeld, nahe an den Reben das Mittelburgenlandes und der Region Eisenberg, hofft der FPÖ-Politiker und im ersten Wahlgang unterlegenen Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer, mit reaktionären Botschaften am 2. Oktober doch noch zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt zu werden. Dass die als extrem rechtslastig eingestufte schlagende Burschenschaft Marko-Germania zu Pinkafeld dabei fest an der Seite ihres Ehrenmitglieds Hofer steht, spricht Bände über die seltsam deutschnationale Gesinnung des rechtspopulistischen Kandidaten.

Hofer hatte schon 1994 gegen den EU-Beitritt Österreichs gestimmt. Dieser Meinung ist er bis heute. Eingriffe in die Europapolitik der Alpenrepublik gehören zwar nicht zu den Befugnissen des Bundespräsidenten. Macht nichts, tönt der rechtsnationale Populist, er werde und könne jede Regierung entlassen, die sich seinen politischen Vorgaben widersetzt. Doch dieser Norbert Hofer, möge er selbst die neu angesetze Wahl gewinnen und Präsident der Republik Österreich werden, dieser Norbert Hofer steht nicht für das ganze Burgenland.

"Uns hat das Leben so reich beschenkt, warum sollten wir von unserem Glück nicht etwas abgeben?", sagt Heike Heinrich, Mitbegründerin der Pannobile-Gruppe, hier am Meidlinger Markt. Jenem Boden in jenem Bezirk, der den Wählern Norbert Hofers gehört. Sie ist mit fremd aussehenden Menschen hierhergekommen, mit Flüchltlingen, die es in Wien mehr gibt, als in München, Dortmund oder Berlin. Für Heinrich - eine gebürtige Deutsche - und ihren Mann Gernot ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das erfolgreiche 93-Hektar-Familienweingut eine Vielzahl sozialer Projekte mitfinanziert.

Beispielsweise den "Sozialwein" Sarastro. Der Ertrag dieser nicht gerade günstig an den Konsumenten gebrachten Kreation, die aus den besten Fässern verschiedener Weinbaubetriebe gewonnen wird, hilft psychisch kranke Menschen und unschuldig in Not Geratene zu unterstützen.

Oder Heinrichs Cherub-Projekt, dessen Flasschen in den österreichischen Spar-Supermärkten verkauft werden. Das hier gewonnen Geld fließt an das Wiener Freunde-Schützen-Haus und die dort untergebrachten und von Abschiebung bedrohten Flüchtlinge. Die Cherub-Weine kamen so gut an, dass die Spar-Kette die von den Heinrichs eingesammelten Flüchtlingsgelder generös verdoppelte.

Spitzenprodukte des Weinguts Heinrich stehen schließlich auch auf dem Meidlinger Markt, wo wir uns gerade unter die Leute mischen. Im Feinkostladen Purple Eat schenken nun Flüchtlinge des Freunde-Schützen-Hauses gemeinsam mit Heike Heinrich ein paar Weine aus und bekochen die Menschen des Viertels mit Köstlichkeiten aus ihrer jeweiligen Heimat.

Toleranz kann offenbar vom Zunge, Gaumen und Magen beeinflusst werden. Zumindest auf dem Meidlinger Markt wird Norbert Hofer in diesem Moment nicht viele Gleichgesinnte finden. "Liabe Menschn san des", sagt eine Gruppe älterer Männer. Beim Wein kommen die Leute zusammen. Ob es denn stimmt, dass Weintrinker toleranter, intelligenter, gesünder und sexy sind? Heike Heinrich lacht kurz auf und bringt eine neue Flasche.

Artikel: Johannes von Dohnany, Fotos: Roland Unger, Klaus Gaggl & Weingut Heinrich

Dieser Artikel ist in Schluck - Europa - Ausgabe 3 erschienen.
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Über Johannes von Dohnanyi

Johannes von Dohnanyi war über viele Jahre als Auslandskorrespondent rund um die Welt im Einsatz. Immer wieder hat er dabei über die Krisen und Kriege berichtet, die Europa vor allem als Flüchtlingskrise erlebt. Heute lebt er als freier Journalist, Autor und politischer Moderator in Hamburg.

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