Tom Litwan - Der Maurer, der Winzer wurde
Der Deutsche Spitzensommelier Marian Henss arbeitete ein paar Jahre lang in der Schweiz. Dort lernte er Winzer und Weine des Landes näher kennen. Und gibt uns hier einen Winzertipp, den kein Weinnarr außer Acht lassen sollte.
Zwei Jahre und sechs Monate Innerschweiz. Kanton Luzern, Vitznau, Restaurant focus. Dort habe ich als Sommelier gearbeitet. An einem der schönsten Orte der Welt. Den See vorm Bauch, die Bergwelt im Rücken. In dieser Zeit hab ich die Schweizer Weine und ihre Winzer näher und besser kennengelernt. Es ist mir ein großes Anliegen für Land und Leute eine Lanze zu brechen, da man Schweizer Weine gemeinhin selten zu kaufen bekommt. Das liegt vor allem an der eher geringen Menge Schweizer Weine und freilich auch daran, dass die Schweizer ihre Weine gerne selber trinken und so wenig für den Export überbleibt.
Bevor ich nach Vitznau kam, waren mir Schweizer Weine und Schweizer Winzer so gut wie nicht bekannt. Man liest hier und da mal was, aber die Bandbreite richtig kennenzulernen ist außerhalb der Schweizer Landesgrenzen eher schwierig. Freilich: Winzer wie Martha und Daniel Gantenbein findet man auf allen Weinkarten guter Häuser in der ganzen Welt. Doch es gibt nicht nur Gantenbein. Es gibt mehr. Viel mehr.
Der leichteste Weg, mehr über Schweizer Weine zu erfahren, führte für mich damals kurioserweise wieder zurück nach Deutschland, wo ich bei der irren Prowein-Messe in Düsseldorf Informationen einholte – mir sozusagen einen Grundstein antrank. Dort bekam ich einen Tipp und stolperte so quasi über die Weine von Tom Litwan, einem Winzer aus Schinznach-Dorf in der Nähe der Habsburg, von wo die Schweizer Rütlischwörer die Habsburger Raubritter nach Österreich verjagten. Geschichtlicher Boden also.
Weine ohne Make-up.
Tom Litwan keltert im Aargau, zwischen Luzern und Basel. Diese Region hat kaum jemand als Weinregion auf dem Schirm. Auch viele Schweizer nicht. Unsere Schweizer Gäste im Restaurant schauten mich oft mit großen Augen an, wenn ich ihnen Weine von Litwan in die Gläser füllte. „Des Aargau isch doch Rüebli-Land“, kam oft als verwunderte Entgegnung, was so viel heißen soll, dass das Land des Aargau den rheinhessischen Kartoffel- und Kohläckern in nichts nachsteht. Aber auch dort wurden wir dank Wittmann, Keller und Co. eines Besseren belehrt.
Die sanften Hügel des Aargau rund um die Gemeinden Elfingen, Thalheim und Oberflachs stehen auf einem Sockel Jura-Kalk und bieten Voraussetzungen, die dem Burgund klimatisch und geologisch sehr ähnlich sind. Naheliegend ist daher Litwans Fokus auf Chardonnay und Pinot Noir.
Tom Litwan, das ist wichtig zu erwähnen, ist in keiner Winzerfamilie groß geworden und hat zunächst das Maurerhandwerk gelernt. Doch dann fuhr er zum Arbeiten ins Burgund und dieser Aufenthalt entfachte in ihm das Feuer für den Wein. Die Sehnsucht nach den dort gemachten Weinerfahrungen und die Sehnsucht, selber Wein keltern zu wollen, ließen ihn eine zweite Ausbildung zum Winzer beginnen.
Litwan bewirtschaftet seine drei Hektar nach biodynamischen Richtlinien. Die Erträge sind sehr moderat. Vergoren und ausgebaut wird im kleinen Holz mit natürlichen Hefen – also spontan. Die Maische wird selbstredend schonend behandelt. Der Einsatz von neuen Holz bleibt minimal und wenn er stattfindet, dann verwendet Litwan nur zurückhaltende Toastings. Vom Fass weg zeigen sich die Weine zart und kantig zugleich. Geprägt von einer Reduktion, die jener der Weine der teuren und renommierten Domaine de la Romaneè Conti im jugendlichen Stadium stark ähnelt.
Litwans Weine sind folglich geradeaus gemacht. Weine, wie ihr Winzer. Unverfälscht. Authentisch. Jahr für Jahr entwickeln sie andere Charakterzüge. Lauter. Leiser. Kerniger. Feiner. Was immer konstant bleibt, ist die kühle Komponente der Weine, die Kargheit, die Präzision. Weine ohne Make-up.
Litwans Pinot Noir Chalofe aus 2013 zeigt sich augenblicklich nachgerade sensationell. Dunkel und dicht, aber gleichzeitig voller Saft und Zug. Sein Pinot Elfingen aus 2014 ist hingegen noch in der reduktiven Phase, doch lässt er mit viel Luftzufuhr seine Schönheit bereits erkennen – geradlinig mit viel Lagerpotenzial. Litwans Chardonnay Wanne aus 2015 würde ich jederzeit in eine Chablis-Premier-Cru-Blindprobenverkostung als Pirat einstellen. Er hätte gute Chancen auf einen der vorderen Plätze.
Richtig großartig werden Litwans Weine aber erst in der Trinkreife. Der Pinot Noir Auf der Mauer aus 2006 beispielsweise - Litwans Debütjahrgang. Der Wein ist voller Würze und Strahlkraft, fernab von Primärfrucht und barocken Gewändern. Ein Pinot, wie nicht nur ich mir große, reife Pinots vorstelle. Mittlerweile kann das focus in Vitznau eine gute Jahrgangstiefe anbieten, sodass ich dort die Weine in all ihren Phasen erleben durfte. Die Konstanten bleiben: kühl, straff, karg, präzise. Absolute Mittel – und Langstreckenläufer. Und Weine, die es wert sind, ein paar Euro mehr auszugeben und entdeckt zu werden.
→ Die Weine gibt es bei Linke Weine und bei Wagners Weinshop.